Was Dein Kauf bei Amazon bewirkt

Du hast gerade Deine fair gehandelte Haremshose bequem bei Amazon bestellt? Oder eine nach allen EU-Standards in Asien produzierte, BPA-freie Trinkflasche für Dein Baby? Oder etwa die glutenfreie Variante Deiner Lieblingsspeise, geerntet von glücklichen Bauern in Uruguay?

Du hast gerade mit einer guten Intention eine Kette an Effekten ausgelöst, die Dir möglicherweise nicht bewusst ist.

Die meisten Menschen gehen mittlerweile direkt zu Amazon, wenn sie ein Produkt bestellen wollen. Sie „googlen“ garnicht mehr oder fragen ihren Fachhändler, sondern wissen sofort „wo man da eben heutzutage hingeht“. Das ist eine Entwicklung, die nicht nur den Fachhändlern außerhalb des Internets weh tut, sondern allen anderen Beteiligten ebenfalls. Außer Jeff Bezos und seiner Firma Amazon. Um es vorausschauend mit Wilhelm Busch zu sagen:

Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich, auf das Ende sehe!!

Jeff Bezos‘ ursprüngliche Idee für den Namen seines digitalen Buchladens war einmal „Relentless“ und die Domain relentless.com gehört ihm immer noch und leitet auf Amazon weiter. Relentless bedeutet übersetzt „erbamungslos“ oder „unerbitterlich“ und damals bezog Bezos sich dabei nur auf den Preis und die Liefergeschwindigkeit. Offiziell. Was sich mittlerweile daraus entwickelt hat ist auf der einen Seite erschreckend und auf der anderen Seite dem Konsumenten weitgehend unbekannt.

Auch vielen Händlern sind einige Zusammenhänge nicht bewusst und sie nehmen an einem Spiel teil, das sie bei vollem Bewusstsein vermutlich niemals eingehen würden.

Diese erbamungslose Unerbitterlichkeit haben ganz am Anfang nur die lokalen Buchhändler erfahren müssen. Mittlerweile sind es so gut wie

alle Einzelhändler.

Durch immer schnellere und günstigere Wege der Warenbeschaffung und Auslieferung standen schlagartig viele liebevoll geführte Läden einem Giganten gegenüber, gegen den nur schwer anzukommen ist. Das kann nur der mächtigste Teil des gesamten Spiels: die Konsumenten. Das bist Du.

Um die gesamte Struktur einmal zu beleuchten und die Zusammenhänge klarer zu machen, im Folgenden nun einige Erläuterungen. Und hoffentlich auch einige Erhellungen beim Leser.

Wer gehört zu dieser Kette zwischen Produktion der Ware und Dir, wenn Du Dein Amazon-Prime-Paket am Folgetag, am selben Tag, nach zwei Stunden, zur selben Stunde geliefert bekommst?

Richtig. Da packen Menschen Pakete, beantworten Kundenfragen, kümmern sich um Deine Retouren. Ein kostenloser Versand, eine kostenlose Retour, das klingt erstmal total positiv. Aber wer trägt die Kosten dieses Services?

Richtig. Die

Mitarbeiter bei Amazon.

Die Arbeitsbedingungen bei Amazon lassen dazu verleiten, Parallelen zum alten Ägypten zu ziehen. Der Pharao und seine Mitarbeiter? Die Riesenmaschine und seine kleinen Rädchen. Wer sich informieren will, kann dies gerne tun. Hier, hier, hier, hier und hier. Und hier. Und hier. Und dort:

Auch BBC nahm sich bereits 2013 dem Thema an:

Gerade zur Weihnachtszeit werden massenhaft Mitarbeiter in die Lager und um die Lager herum platziert. Um sie danach wieder vom Gelände zu werfen. Die Gewerkschaft ver.di war entsetzt. Gebracht hat das anscheinend wenig, bis auf ein paar Streiks von mutigen Mitarbeitern blieb es anscheinend bei beschwichtigenden Statements, es handele sich um Einzelfälle.

Was bringt es also, seine fair produzierten und menschenfreundlich gehandelten Produkte bei diesem System zu kaufen? Wir verschieben die Sklaverei von Asien nach Europa und in die USA – klingelt’s?

Sicherlich gibt es auch gut bezahlte Jobs bei Amazon und gute Behandlung derselben. Das passiert anscheinend vor allem strategisch gut platziert und eben nicht für alle Mitarbeiter.

Bei den Recherchen für diesen Artikel war der Autor lange Zeit nur sauer, doch irgendwann erschrocken und traurig. Erstmal, weil er Bild und Focus lesen musste, aber auch durch die dort zusammenfassenden Artikel zu den Arbeitsbedingungen.

Die Barcodes und Scanner verfolgen eigentlich nur den Verlauf der Pakete. Jedoch wurde diese Technik auch dazu benutzt, die Schrittzahl und -länge der Mitarbeiter zu messen. In diesem Überwachungsszenario herrscht eine Grundstimmung der Angst. Und keine Atmosphäre des Vertrauens, wie es in den kleinen Buchläden einmal der Fall war.

Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete mehrfach über kollabierende Mitarbeiter, Schikane, weinende Mitarbeiter auf Betriebstoiletten, stickige Hallen und austretende Gase. Im Forum der Süddeutschen entstand eine rege Diskussion darüber, inwieweit sich Amazons Druck bereits auf andere Lebensbereiche auswirkt.

Wer dem oftmals auf 80 Stunden anwachsenden Wochenpensum an Arbeit nicht gewachsen ist, riskiert seinen Job. Eine Frau, die wegen ihres an Krebs erkrankten Vaters um Rücksicht und vorübergehende Reduzierung des Drucks bat, wurde von ihrem Chef als „ein Problem“ betitelt.

Die New York Times berichtete über zwei Frauen, die selbst an Krebs erkrankt waren. Sie wurden als Menschen mit „Schwierigkeiten“ im „Privatleben“ abgetan. Ihre Jobs seien wegen „schlechter Leistung“ in Gefahr.

Zwar tat es dem Vorgesetzten einer weiteren Frau Leid, dass sie einen Tag nach ihrer Fehlgeburt zu einer Dienstreise antreten musste. Doch „die Arbeit“ müsste „trotzdem erledigt werden“.

Die New York Times beschreibt eindrücklich viele weitere Aspekte, beispielsweise erhielten Mitarbeiter nach Mitternacht und am Wochenende E-Mails mit Arbeitsanweisungen und kurz darauf SMS-Nachrichten, warum denn nicht gearbeitet wurde.

Auch die mit der New York Times im Zusammenhang stehende persönliche Geschichte einer Mitarbeiterin, die einen offenen Appell an Jeff Bezos richtete, ist lesenswert. Sie arbeitet immer noch bei Amazon. Sie hatte Krebs und ein Baby und war mit erschreckenden Szenarios konfrontiert, als sie zurück zur Arbeit kam. Daraus hat sich im News-Sektor bei Y Combinator eine spannende Diskussion entwickelt.

Das ist der erste Teil, der Amazons „Erfolgszug“ machbar macht. Und um es mit dem Hamburger Marktschreier zu sagen:

Das ist aber noch nicht alles! Wir packen noch einen mit drauf!

Denn die Händler, die dieses Spiel mitspielen, unterwerfen sich diesem System nicht nur im Bezug auf Preisbildung und Liefergeschwindigkeit, sondern auch ihre gesamten Betriebsprozesse werden direkt vom Giganten beeinflusst. Und wer badet das aus? Die

Mitarbeiter der teilnehmenden Händler.

Wer auf Amazon verkauft wird ständig unter Druck gesetzt. Die Systemmails kommandieren die Versand- und Supportmitarbeiter herum. Die Account-Manager von Amazon machen Druck auf teilnehmende Händler und ihre Programmierer, doch endlich bestimmte Kennzahlen zu erreichen, sonst müsste man sie in einen anderen Tarif stecken oder der Erfolg würde ausbleiben. Der Autor spricht aus Erfahrung und dieses System generiert Stress, unlogische und nicht zielführende Aktionen, nur um Amazon gerecht zu werden. Eben wie alles im Leben, was durch maximalen Profit und nicht durch Sinn angetrieben wird.

Es existieren so genannte „Re-Pricing-Tools“, die automatisch den „optimalen Produktpreis“ definieren. Diese wurden für lange Zeit von externen Dienstleistern bereitgestellt, mittlerweile hat Amazon ein eigenes System dafür entwickelt. Das Ziel lautet jederzeit: maximaler Umsatz auf Amazon. Die Händler spielen duckmäuserisch mit, weil man das ja „heute so macht“. Soviel Macht. In einem Zentrum. Das kann nicht gut gehen.

Wehe wehe, wenn ich auf das Ende sehe.

Amazon kontrolliert (Quelle: FAZ.net) nicht nur seine Mitarbeiter sondern verfolgt auch die Händler bis in den Schlaf. Und alle spielen mit. Fast alle.

Doch es gibt glücklicherweise auch Gegenpole. Zum Beispiel Jeff das Messer. Der Messserhändler prangert seit langem die Aktivitäten von Amazon an und wurde selbst Zeuge von weitreichenden Auswirkungen des Konzern.

Oder Händler, die aus Prinzip nicht auf Amazon verkaufen und gerade dadurch einen enormen Zugewinn an Lebensqualität und Alleinstellungsmerkmal genießen. Weil sie sich eben nicht der Riesenmaschine unterwerfen und auf diese tausende Euros an Umsatz verzichten, damit sie eben keine Sklaven des Systems sein müssen. Diese Energie für diesen „fehlenden Umsatz“ fließt in sinnvolle Kooperationen, stresslosere Arbeit und einen gewissen Stolz der Unabhängigkeit und Rebellion. Das kann ungeahnte Energien freisetzen, die an anderer Stelle die paar tausend Euro Umsatz wieder wettmachen und im Endeffekt wiederum für „gutes Geld“ auf anderen Wegen sorgt, statt für „schlechtes Geld“ aus einem Kanal der Ausbeutung und Gewinnmaximierung für nur einen Großen.

Früher haben die Online-Shops auf Google-Rankings optimiert und in ihren unkontrollierten Werbekampagnen bei Google AdWords („Ja, machen wir auch, ob das was bringt, wissen wir garnicht so genau“) Ihr Geld rausgeblasen. Heute geben sie 15% Verkaufsprovision an das vermeintlich gemütliche Kundeninstrument „Amazon“ ab.

Amazon kopiert erfolgreiche Produkte von teilnehmenden Händlern (Quellen: Fortune.com, Geek.com, Bloomberg.com). Amazon bindet Geschäftspartner an sich, um sie dann auszusaugen. Und partizipiert an deren Enthusiasmus, Kreativität und Intelligenz – indem es ein hochoptimiertes System bereitstellt. Der Albtraum eines jeden Händlers ist Realität und das System wird frohlockend bedient. Und genutzt. Auch von Dir?

Amazon hat eine Funktion eingeführt, bei der auf Amazon verkaufende Händler ihr Inventar an Amazon verkaufen kann und nicht an die Kunden. Diese Funktion wurde über Nacht eingeführt, anscheinend unangekündigt. Ob man dort initial mitspielen will oder nicht, konnten sich die Händler nicht aussuchen. Denn das Häkchen „Ja, ich will“ wurde von Amazon automatisch gesetzt. Ist das ehrenhaftes Geschäftsgebahren auf einer Augenhöhe?

So verleibt sich Amazon schrittweise komplette Märkte ein, produziert die erfolgreichsten Produkte mittlerweile selbst, hat eine eigene Flotte an LKWs, Drohnen und Flugzeugen. Es beherrscht Lebensmittelmärkte, Medienmärkte, Elektronikmärkte und unendlich viele weitere Bereiche des Handels. Das System sammelt und nutzt Daten. Amazon kann durch seine enorme Datenbasis relativ gut voraussagen, was wann wo gut laufen wird und was Du als nächstes kaufen willst oder Dich dazu bewegen, es zu kaufen. Ist das die Realität, die Du Dir wünschst?

Zuerst hat Amazon die kleinen Buchläden mit seinem Online-Modell angegriffen. Jetzt hat Amazon kleine Buchläden eröffnet. Amazon betreibt jetzt genau das Geschäft selbst, das es zuerst attackiert und oft in den Ruin getrieben hat. In San Diego, in Portland, in Seattle, weitere Buchläden sind bereits in fester Planung. Bald auch Klamottenläden? Walter Loeb, der auf Forbes.com die Entwicklungen im Einzelhandel analysiert, spekulierte bereits im Oktober 2016 darüber.

Was kannst Du tun?

  • Nutze Amazon als Rechercheplattform, als Preissuchmaschine oder Bewertungsplattform.
  • Bestelle bei den Online-Händlern direkt in ihrem eigenständigen Online-Shop. Einfach mal den Händlernamen des Produkts googlen und im Online-Shop des Händlers bestellen. Damit muss er keine Verkaufsprovision (meist 15% plus Grundgebühr) abdrücken und darf direkt mit Dir in Kontakt treten – ohne die überwachte und kontrollierte Kommunikation zwischen Dir und den Händlern über die Amazon-Plattform.
  • Kaufe lokal und mach Deine echten Fachhändler glücklich – und Dich! Liebevoll und lebendig beraten werden. Wieviel Herzblut in einem feinen Laden mit engagierten Mitarbeitern steckt, ist vielen Menschen nicht bewusst. Sie werden es Dir um ein vielfaches zurückzahlen: mit herzlicher Beratung, Dankbarkeit und individueller Bedienung Deiner Wünsche. Du wirst erstaunt sein, was ein „eigentlich wollte ich online kaufen, aber…“ beim Menschen hinter dem Verkaufstresen bewirken kann.

Sicher, es sind 3 Minuten mehr Zeit, die Du investieren musst um im jeweiligen Shop einen Account anzulegen oder eine Gastbestellung durchzuführen. Aber um diese Kette zu durchbrechen und alle genannten Negativeffekte auf unser gemeinsames Leben auszumerzen und in’s Positive umzuwandeln, sollten sich diese 3 Minuten doch lohnen, oder?

Und eine wohl überlegte Shoppingtour mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit der Bahn oder dem Auto ohne „ach das klick ich mir auch noch in den Warenkorb“ und ein echtes Anfassen und Ausprobieren der Produkte hat echte Vorteile. Auch auf lange Sicht. Vor allem gemeinsam mit Menschen, die Dir lieb sind.

Denn letztlich profitieren durch den Erhalt von

  • unabhängigen Fachhändlern
  • lokalen Geschäften mit liebevoller Beratung
  • guten Arbeitsbedingungen bei den Händlern
  • weniger profitorientierte, größenwahnsinnige Durchoptimierung des gesamten Lebens

nicht nur die

Händler, Lieferanten, Produzenten und Logistiker,

sondern auch die

Länder, Kommunen, Gemeinden und ihre Infrastruktur,

wie Kindergärten, Straßen, staatlichen Krankenhäuser, staatlichen Pflegeheime – denn Amazon zahlt seine Steuern in Luxemburg – und damit auch

Deine Kinder, Deine Eltern, Deine Großeltern, Deine Enkel, Deine Nachbarn, Deine Freunde und Du selbst.

Wenn Dich das Thema als Kunde interessiert, kannst Du Amazons Machenschaften beim Amazon Watchblog beobachten. Und die Thematik vielleicht auch in Deinem Umfeld bekannt machen. Es ist doch ein herrliches Gesprächsthema für eine Party: „Was viele ja nicht wissen…“.

Wenn Dich das Thema als Händler interessiert: trete mit Jeff das Messer in Kontakt, sprich das Thema auf (eCommerce-)Stammtischen an, verbünde Dich mit anderen. Es macht soviel Spaß, unabhängig zu sein. Und das Geld, das außerhalb von Amazon aus eigener Kraft und Kreativität verdient wurde, fühlt sich einfach gut an.

Erst kürzlich untersagte Amazon karitativen Einrichtungen, ihr so genanntes Affiliate-System zu nutzen. Dabei bekommen Werbetreibende eine Provision für jeden vermittelten Kunden. In diesem Partnerprogramm werden monatlich horrende Summen an die Partner ausgezahlt. Das Ziel ist wieder dasselbe: Marktdominierung. Webmaster sollen um jeden Preis Amazonwerbung einbinden und nicht ewa die von Otto.de oder anderen möglichen Affiliateprogrammen. Karitative Einrichtungen dürfen beim Amazon Partnernet nicht mehr mitspielen. Als Austausch für die gönnerische Ader von Amazon wurde nun AmazonSmile eingeführt, hier können die Kunden mit wenigen Klicks eine Spende bei ihrer Bestellung auslösen. Am Ende ein profitableres Geschäft für Amazon, wie unter anderem der Spiegel berichtete.

Die Liste der Themen ließe sich noch seitenlang fortführen. Wir sind gespannt, welche Rückmeldungen dieser Artikel bewirken wird und verbleiben mit zwei Fragen an die Mächtigsten der Wirtschaft (auch „Konsumenten“ genannt) und an die Triebfedern des Systems, ohne die überhaupt nichts läuft (die Händler):

Bist Du ein bewusst entscheidender Teil der Gesellschaft und nutzt jeden Kauf als Stimme und Unterstützung der gewünschten Strukturen in dem System, in dem wir leben? Welchen Effekt willst Du durch Dein Handeln in der Welt sehen?

Und falls Du selbst als Amazon-Marketplace-Merchant aktiv verkaufst: Bist Du ein selbständiger Unternehmer? Oder ein FBA-Kunde und gesamtstrukturell gesehen ein Amazon-Mitarbeiter, der jederzeit gefeuert werden kann?

Update vom Tagesspiegel und Jeff das Messer (Bundeskartellamt geht gegen Amazon vor):

https://www.facebook.com/jeffdasmesser/posts/1203823006432129

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/onlinehandel-kartellamt-geht-gegen-amazon-vor/23699574.html

Hinweis zu diesem Beitrag: Dieser Text spiegelt wenn überhaupt lediglich die mögliche Meinung eines anonymen Autors wieder und soll keinesfalls irgendeine Firma, irgendwelche Menschen und Mitarbeiter oder Aktionäre in ein schlechtes Licht rücken. Es werden ausschließlich belegbare Fakten aus Quellen mit höchstem journalistischem und redaktionellem Standard einbezogen und darüberhinaus handelt es sich um eine Übung zum ‚Kreativen Schreiben‘.

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